Das Photogramm|Licht, Spur und Schatten 08./09. April 2006

Tim Otto Roth (Oppenau i. Schw./ Köln)

»Fotogramme sind so alt wie die Welt« Urbild und Postphotographie

Daß das Photogramm womöglich bereits seit dem Sündenfall ein Wahrnehmungsdefizit genießt, illustrierte ein einleitendes Zitat des polnischen Experimentalfilmers Themerson: So sei das Photogramm, das der Schatten eines Blatt auf der Oberfläche des besagten Apfels hinterließ, weder von Eva noch dem lieben Herrgott bemerkt worden. Diesem Wahrnehmungsdefizit wollte Tim Otto Roth in seinem Vortrag mit einer verfahrenstechnischen Definition des Photogramms begegnen. Die Intention dieses technischen Ansatzes war einerseits für die unterschiedlichen Facetten des Mediums zu sensibilisieren. Dem Organisator der Tagung war andererseits daran gelegen, mit einer technischen Klärung ein unproduktives Aneinandervorbeireden der zu erwartenden heterogenen Beiträge zu vermeiden. Schließlich stellte dies einen Versuch dar, positiv das Möglichkeitsspektrum des Photogramm zu definieren, anstatt wie gemeinläufig mit Begriffen wie kameraloser Photographie nur negativ und damit zwangsläufig unscharf zu beschreiben, was das Photogramm nicht sei.

Konkret machte Tim Otto Roth den Vorschlag, daß ein Photogramm eine unmittelbare Konstellation von Licht, dreidimensionalem Objekt und lichtempfindlichem Material festhält, wobei er mit Licht potentiel das gesamte elektromagnetische Spektrum mit einschloß. Insbesondere ging er ausführlich auf den Unterschied von Photogramm, das ein Projektionsbild eines dreidimensionalen Gegenstandes darstellt, und Techniken, die lediglich eine zweidimensionale Vorlage reproduzieren, ein. So spielt im sogenannten Cliché verre die Position der Lichtquelle keine Rolle, beim Photogramm hingegen sehr wohl. Der Übergang ist mitunter fließend, so sind die flachgedrückten Pflanzen in den photogenic drawings Talbots eher als eine zweidimensionale Vorlage zu betrachten, obgleich, die weichere Wiedergabe der inneren Blattstruktur bereits photogrammartige Züge trage.

Ausführlich ging Tim Otto Roth anhand des Schattentheaters auch auf das Verhältnis von Schatten und Schattenbild ein. Eine besondere Rolle kommt schließlich beim Photogramm dem Distanzverhältnis von Objekt und lichtempfindlichem Material zu. Gerade die potentielle Berührung und das umgekehrte Distanzverhältnis, welches das Nahegelegene schärfer als das Entfernte wiedergibt, konstituiert einen fundamentalen Unterschied zur Photographie. Aus eben diesen verfahrenstechnischen Gründen bezeichnete er das Photogramm auch als post-photographisch, um den damit einhergehenden Bruch mit dem photographischen Repräsentationsmodus der Zentralperspektive zu unterstreichen und die Komplementarität des Photogramms zu anderen post-photographischen, computerbasierten Verfahren zu betonen.
Als eine Art physikalischer Abdruck setzte er schließlich das Photogramm in Beziehung zum physischen Abdruck und bestimmten Verfahren in der Kernphysik. Abschließend reflektierte Tim Otto Roth, inwiefern sich die Begrifflichkeiten (wie z.B. Divergenz) in der von Georges Didi-Huberman in „Ähnlichkeit und Berührung“ formulierten Theorie zum Abdruck auf das Photogramm übertragen lassen.

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