Das Photogramm|Licht, Spur und Schatten 08./09. April 2006

Thomas Fechner Smarsly
(Universität Krakow, Polen)

„Es handelt sich um ein mimetisches Verfahren nicht der Abbildung beziehungsweise der Darstellung von Natur, sondern der intentionalen Nachbildung natürlicher ´Verfahren´, natürlicher Prozesse.“

Die Makrele im Entwicklerbad. August Strindbergs Photoexperimente in den 1890er Jahren

Daß August Strindbergs Schaffen weniger einem Naturalismus als vielmehr einem Neo-, Super- oder gar Hyper-Realismus zugeschrieben werden könnte, dieses Bild zeichnete Thomas Fechner-Smarsly anhand der Photoexperimente der 1890er Jahre. Ordnete er die frühen sogenannten Kristallogramme Strindbergs – kontaktkopierte Salzkristallisationen auf Glasplatten – noch als eine Materialerkundung ein, so trugen die späteren Experimente apparatekritischen Charakter. August Strindberg mißtraute den linsenvermittelten Bildern der Kamera aber auch des menschlichen Auges. Seine ersten Versuche, diese als Täuschung zu entlarven, äußerten sich in einer photogrammatischen Konstellation: So berichtete Fechner-Smarsly von einer Christrose, von der Strindberg ein Bild durch das Auflegen auf eine Photoplatte eingefangen habe (wovon leider kein Bild mehr erhalten ist). Auch die im Spätwinter und Anfang Frühjahr 1894 im österreichischen Dornach entstandenen Celesto- oder Coelestograhien verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Strindberg glaubte durch direktes Aussetzen unter dem nächtlichen Himmel einer meist in einem Entwicklerbad liegenden Photoplatte, das Licht der Gestirne auf unmittelbare Weise einfangen zu können.

Aufgrund dieser frühen kameralosen Versuche, reagierte Strindberg polemisch und etwas gekränkt auf die wissenschaftliche Entdeckung Röntgens. So habe er selbst bereits zwei Jahre zuvor „ohne Kamera und Linse“ gearbeitete, Röntgen benutze lediglich andere Spektren des Lichts.
Beschäftigte sich das Publikum im Anschluß des Vortrages sehr intensiv mit der Frage, was denn tatsächlich auf den 16 noch erhaltenen Celestographien zu sehen ist, so wies Thomas Fechner-Smarsly daraufhin, daß sich bislang nur wenige Autoren mit dieser Frage beschäftigt haben. Lediglich vier Autoren, die Photohistoriker Clément Chéroux und Bernd Stiegler, sowie die Kunsthistoriker Douglas Feuk und Grischka Petri haben sich eingehender damit auseinandergesetzt, wie und was die Celestographien eigentlich repräsentieren. Für Bernd Stiegler zeichnet sich in Ihnen der Wunsch nach einer unverstellten, nicht durch Medien vermittelten Wirklichkeit ab. Clément Cheroux hingegen betrachtet sie nüchtern als ungleichmäßig entwickelte Fläche zufälliger Mikrooxydierungen von Silber und stellte die vermeintlichen Bilder des Sternenfirmaments in den Zusammenhang des Fin-de-siècle-Okkulistmus.
Douglas Feuk versteht die Aufnahmen mehr als poetische Träumerei bei der Natur nicht mehr nur abgebildet wird, sondern das Bild selbst Natur ist. Grischka Petri verweist insbesondere darauf, daß die Celestographien nicht fixiert sind, und sieht in ihnen deshalb das Prozeßhafte im Werk Strindbergs versinnbildlicht. Thomas Fechner-Smarsly strich abschließend die morphologischen Ansätze in Strindbergs Ansatz heraus, die ihn u.a. dazu veranlaßten in einer schimmernden Fischhaut Aspekte einer photochemischen Spur wiederzuerkennen. Wenn dies Strindberg auf sein künstlerisches Programm übertrug, so ging folglich sein Schaffen für Thomas Fechner-Smarsly über eine poetische Metapher hinaus: „Es handelt sich um ein mimetisches Verfahren nicht der Abbildung beziehungsweise der Darstellung von Natur, sondern der intentionalen Nachbildung natürlicher ´Verfahren´, natürlicher Prozesse.“
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