Das Photogramm|Licht, Spur und Schatten 08./09. April 2006

Diskussion II
mit Monika Dommann & Thomas Fechner-Smarsly
Moderation: Ulf Erdmann Ziegler

Das Publikum dachte über eine neue Art von Plastizität im Röntgenbild nach: Muß ein Röntgenbild imaginär gedacht werden?

Zum Eingang der Diskussionrunde betonte Monika Dommann nochmals gegenüber dem Moderator Ulf E. Ziegler, daß der radikale Unterschied zur Photographie darin besteht, daß in es in der Radiographie keine Linse gibt. Ferner unterstrich sie die Einfachheit der Apparatur, die die Anwendung keineswegs auf einen exklusiven wissenschaftlichen Zirkel beschränkte. Vielmehr sei der radiographische Diskurs ein sehr offener gewesen, der unterschiedlichste Überschneidungen zuließ – zumal die physikalische Natur der Röntgenstrahlen lange nicht geklärt war. So agierte der Erfinder der Röntgenröhre William Crookes (1832 - 1919) nicht immer klar im naturwissenschaftlichen Feld, sondern war auch in die okkultistische Photographie involviert.

Auf die Frage angesprochen, ob denn Strindberg nun Künstler oder Wissenschaftler gewesen sein, verwies Thomas Fechner-Smarsly suffissant auf den 100 Jahre vorher lebenden Goethe. Im Unterschied zu Goethe, dessen Experimente gelungen seien, steht Strindberg eher für ein produktives Mißlingen im Kontext einer neuen Poetik.

Vera Dünkel wollte die Formulierung von Plastizität in der Radiologie näher konkretisiert haben. Sie fragte, ob ein plastisches Röntgenbild nicht ein zum Scheitern verurteilter Übersetzungsversuch in bekannte Wahrnehmungsräume sei und schloß mit der Vermutung, ob nicht Angesichts einer neuen Art von Darstellung, nicht die Rede von einer neuen Art von Plastizität gesprochen werden müsse.

Philipp Slusallek wandte den Begriff der Plasitzität auf die Computertomographie an. Dort bedarf es einer Interpretation feiner gradueller Helligkeitswerte als Dichteunterschiede im Körper sowie einer Interpretation eines Kompositums aus verschiedenen Richtungen gemachter Röntgenbilder. Nur durch das Lernen der Interpretation geht dort aus einem flachen Bild Plastizität hervor. Kai Middendorff sieht deshalb eine theoretische Dimension, die durch Röntgen ins Bild kommt: Ein Röntgenbild müßte eher imaginär gedacht werden, da es nicht mehr so stark wie die klassische Photographie an unsere Sehkonventionen gebunden ist.

Ein Fragenkomplex reflektierte auch das Verhältnis von Röntgenbildern und Kunst. Bernhard Serexhe verwies darauf, daß Mitte des 19. Jahrhunderts das technische Verfahren Photographie erst durch zunehmende Einwirkung der Hand zu einem künstlerischen Verfahren werden konnte. Monika Dommann gab ihm recht, daß man Photographie erst dann zur Kunst machen konnte, indem man den Photographenkünstler stark und den apparativen Teil mit der einhergehenden Zufälligkeit schwach macht. Photographie musste zur Kunst erklärt werden, damit sie Urheberrechtschutz erhielt. In der Radiologie spielte für Monika Dommann ein manueller Eingriff keine große Rolle, da bis 1920 es keine Trennung zwischen automatisierter Apparatur und Mensch gab, sondern vielmehr ein "technologisches Ensemble".
Für Kelley Wilder konnten Röntgenbilder deshalb nicht zur Kunst werden, da sie Ende der 1890-er bei jeder amateurphotographischen Jahresausstellung gezeigt wurden. Damit waren sie als Photographie kategorisiert und konnten deshalb auch nicht in einer Kunstausstellung auftauchen, da Photographie zu der Zeit noch keinen Kunststatus besaß. Lambert Wiesing traf schließlich dahingehend eine Unterscheidung, daß Gegenstände in Röntgenbildern nicht prinzipiell unsichtbar seien, Kunst aber sich damit beschäftigte, prinzipiell Unsichtbares sichtbar zu machen.